Romeo und Julia

Julia: Willst du schon gehn, schon fort? Es ist doch noch der Tag nicht nah. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche … Glaub mir, Liebster, bleib! Es war die Nachtigall!
Romeo: Es war die Lerche, die Verkünderin des Morgens! Schau doch, wie das Licht schon neidisch seinen Streif des Himmels Enden eingeschrieben hat. Und ich muss fort und leben oder bleiben und dran sterben …
Julia: Nein, das Licht dort drüben ist des Tages Feuer nicht, ist nur ein goldner Meteor, der leuchtet, dir den Weg nach Mantua zu weisen. Drum bleib ein wenig noch; du brauchst noch nicht zu gehn.
Romeo: So mögen sie mich fangen, mag ich hingerichtet werden – es ist mir willkommen, wenn es nur dein Wille ist. So will ich sagen, dieses graue Licht dort drüben ist des Mondes Widerschein; auch ist es nicht die Lerche, deren helles Singen vom blau gewölbten Himmel unsre Ohren traf. Ich hab mehr Lust zu bleiben, als ich Willen habe, fort zu gehn; denn meine Julia will es so. Sei mir willkommen Tod denn! Es ist Nacht, nicht Morgen …
Julia: Doch, es ist! Geh fort! Oh du musst fort von hier! Es ist die Lerche, nicht die Nachtigall, die solche missgestimmten Töne singt, dass sie uns trennt. Nur auf jetzt, Liebster, es wird heller schon und heller!
Romeo: Hell und heller, aber dunkel ach für uns …

Romeo und Julia – wer wollte es wagen, diese beiden zu trennen? Schon regte sich die Hoffnung, eine solche Liebe möchte stark genug sein, endlich auch die Väter auszusöhnen, doch der alte Streit bricht wieder auf, um zuletzt alle ins Verderben zu stürzen. Die beiden Liebenden freilich vermag auch er nicht zu trennen: Ihre Liebe reicht über den Tod hinaus …

William Shakespeare: Romeo und Julia